Ausserdem beklage ich das Fehlen technischer Beiträge in den technischen Unterforen. Deshalb hier die zweite Fortsetzung des unsäglichen Bremsenfreds, in dessen erster Runde ich leider wg. techn. ko abbrechen musste. Was nicht heisst, dass das spiessige Schulbuchwissen, das inzwischen 50Jahre älter ist als die aktuellen Bremssysteme in irgendeiner Form für die Betrachtungen der Scheibenbremse an Motorrädern oder solchen mit Seitenwagen akzeptabel wäre.
Ich sehe die Dinge wie üblich durch meine eigene Brille und hab mir die Erklärungen so zurechtgelegt, dass sie zu den ominösen Erscheinungen und notwendigen Wartungsarbeiten bzw. Änderungen an der Bremsanlage passen.
Es gibt ein paar bunte Bilder, animierte Gifs funzen hier leider ned. Gegenrede wird nicht nicht akzeptiert.
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In der Konstruktion dominiert durch die Fortschritte des CAD bei der Materialverhaltensforschung eine überhöhte Betrachtung der bewegten Elemente um (nicht auf) 400%. Also das vierzigtausendfache der realen Bewegung. Ein Schiffsdiesel sieht dabei so aus, wie Daniel Düsentriebs Erfindung in einem Mickey Mouse Film.
Ich erlaube mir eine ähnliche Betrachtungsweise, um die Dinge so dar zu stellen, wie ich sie sehe.
Im Bild oben ein paar Lokalitäten. Hellgrau der Bremssattel, schwarz der Kolben, blau die Bremsflüssigkeit, rot die Dichtung.
"Zone 1" ist die evtl. Rostzone.
"Spaltmass 1" hat einen anderen Wert als "Spaltmass 3", oder die Nut ist konisch oder gestuft, damit sich die Gummidichtung (rot) kontrolliert bewegen kann. "Spaltmass 2" ist konstruktiv "Null".
Insbesondere herrscht bisweilen die mittelalterliche Begründung "Rost" für das Klemmen der Bremskolben vor.
Warum? "Man kann ihn doch sehen"
Ich kenne klemmede Kolben nur in der Form, dass sie vekantet sind.
Begründung: unmittelbar nach dem Entkanten sind sie wieder voll funktionsfähig. Ausnahme: Jemand ist derartig lange mit einem klemmenden Kolben und defekter Staubkappe herumgegurkt, dass der Kolben dabei festkorrodiert ist, oder einen Rostkranz ausserhalb des Sattels angesetzt hat. So jemand sollte seine Bremsen nicht selbst warten.
These 1: Bei hoher Bremsbelastung wird die Wärme über den Kolben auf die Flüssigkeit und den Gusskörper verteilt. Moppedsättel sind allgemein aus Alu. Aufgrund ihrer Wärmedehnung wird das Spaltmass grösser als im kalten Zustand. Verkanten wird erleichtert.
These 2: Die Festigkeit des Alukörpers ist nicht gross genug, als dass er sich nicht unter Druck verformen würde.


In dem Bildvergleich sieht man, was die Bremse nach Lehrbuch tun soll, (tut, solange sie neu ist).
Die Elastizität der Dichtung zieht den Kolben nach vollzogener Bremsung wieder ein Stück zurück. Den Kolben wohlgemerkt, nicht den Belag, es sei denn er wäre angeklebt. Die Arbeit am Belag übernimmt die sog. Spreizfeder bzw. ein Luftwirbel. Der Bremsbelag "surft" über der Bremsscheibe, solange er freigängig ist.


In der zweiten Gruppe zeige ich, was in keinem Lehrbuch steht.
Die Dichtung hat aufgrund ihres Alters und der chemischen Einwirkung der Bremsflüssigkeit ihre Elastizität eingebüsst, ist mech. aussen kleiner geworden aber unbeschädigt. Sie selbst verformt sich unter dem Druck. Ihre Form im Lastzustand sieht nicht so aus, als könne sie den Kolben wieder zurückstellen. Der Belag verharrt an der Scheibe und droht zu verglasen. Das führt dazu, dass schlimmeres passiert:

Der Belag verschleisst einseitig, dadurch dass:
- Der Abrieb an der äusseren Peripherie grösser ist als innen,
- der Abrieb an der auflaufenden Seite höher ist als an der ablaufenden
- er permanent anliegt.
Schon der geringste schräge Verschleiss des Belages führt dazu, dass der Kolben sich unter Druck schräg in die Führung quetscht. Erhöhtes Laufspiel und kurze Führung durch verschlissene Beläge tragen dazu bei. Der Kolben klemmt alsbald.
Und jetzt kommt der Einwand, den ich mir auch von klugen Leuten an anderer Stelle anhörte: "Wenn die Dichtung hin ist, tritt Bremsflüssigkeit aus!"
Schwachsinn!
Druck ist die Relation von Kraft und gedrückter Fläche. Solange die Dichtung alt, schwammig, aber nicht beschädigt ist, schliesst sie die Fuge zwischen Kolben und Sattel, das Spaltmass ist Null, also ist auch die gedrückte Fläche Null. Division durch Null ist nicht erlaubt, die Kraft die benötigt würde, um einen geschlossenen Spalt zu überwinden wäre unendlich gross.
Es sei denn:
- Die Dichtung wäre durch Schmutz, Aluoxid o.ä. beschädigt, so dass eine definierte Angriffsfläche entstünde.
- Die Verformung der Dichtung unter Druck wäre so gross, dass sie an ihrer Peripherie eine keilförmige Kontur annähme.
Beides kann passieren, sagt aber auch aus, dass die Dichtung elastisch verschlissen sein kann, bevor ihr mechanischer Verschleiss durch Austritt von Flüssigkeit ihren Zustand sichtbar macht.

Das heisst: schlimmstenfalls wird ein Kolben bei der Bremsinspektion zurückgedrückt, er war weit herausgetreten, der Belag fast völlig verschlissen. Die Sichtprüfung zeigt: Dichtung ok, weil trocken.
Neue Beläge rein. Verschleiss, Verglasen und Kolbenklemmer früher als erwartet.
Die andere Geschichte, der Anlass der lautstarken Diskussion war die Frage, ob sich ein Bremskolben durch Vibration oder Flieh- oder Schwerkraft unbeabsichtigt in den Sattel zurückarbeiten kann.
Die Frage wurde zum einen hier noch mal aufgegriffen:
http://gespanne.parlaris.com/ftopic3180-15.html
zum anderen beantwortet sie sich aber durch die Betrachtung der chemisch verschlissenen Dichtung (Gruppe 2), deren Lippe nach vollzogenem Bremsgang keineswegs in die vorgeschriebene Richtung zeigen muss.
Im deutschen Sprachraum neigen wir dazu, Vorschriften eine gewisse Gültigkeit zuzuordnen, die Bereitschaft dazu würde ich bei einem technischen Bauteil nicht unbedingt voraussetzen.
Fest steht: in den 70er und 80er Jahren waren die Dichtungen für DOT3 konzipiert, d.h. ihre Säureresistenz. DOT 4 ist geringfügig aggressiver. DOT 5 und 6 enthalten ganz andere chem. Komponenten.
http://de.wikipedia.org/wiki/Bremsfl%C3%BCssigkeit
Wenn man davon ausgeht, dass natürliche und synthetische Werkstoffe unter dem Einfuss von Chemie ihre Eigenschaften verändern, passiert das vom ersten Tag an. Meinzwegen auch progressiv. Aber nie schlagartig.
Nach dem Motto, "die Dichtung ist 10Jahre alt, aber trocken, also ist sie noch gut."
Nur eine mechanische Beschädigung kann schlagartig erfolgen, muss aber nicht, wenn frühzeitig die Beläge gewechselt werden und die Staubkappe aussen unbeschädigt bleibt.
Zurückwandernde Kolben bei Scheibenbremsen und der Griff ins Leere sind ein bekanntes Übel. Ich würde nicht darüber diskutieren, ob es sein kann oder nicht. Bestenfalls darüber, wie ich dem entgegentreten kann.
Wer´s nicht glaubt, wechselt besser mit den Belägen auch immer die Dichtungen oder gleich den ganzen Kolben, dann macht er nix falsch.
Bei meinem Gespann wären das 8 Kolbenreparatursätze zu je 35EU.