von W-L » 13. Januar 2015 01:29
Hallo,
die unterschiedlichen Reaktionen auf meine Beiträge sind schon sehr interessant:
Versucht man technische Zusammenhänge, bei denen jeder mitreden kann, anhand technisch allgemeingültiger Regeln zu erklären, wird man mit der Begründung zur Raison gerufen, doch nicht alles zu theoretisieren.
Will man bei einem physikalischen Problem nicht mit einem Ausflug in die Theorie langweilen, erfährt man „kneifen gilt nicht“ und nun mal „Butter bei die Fische“.
Nun denn:
Nachstehend nochmals der Versuch, den Vereisungsvorgang mit wissenschaftlich bewiesenen Erkenntnissen zu erklären.
Physikalische Grundlagen:
1. Ändert ein Stoff seinen Aggregatzustand wird entweder der Umgebung Wärme entzogen (endogene Reaktion) oder Wärme zugeführt (exogene Reaktion).
Endogene Reaktion (nur der für die Vergaservereisung in Frage kommender Anteil):
Eine Flüssigkeit kann weit unter ihrer Siedetemperatur verdampfen. Man nennt diesen Vorgang physikalisch verdunsten. Eine Flüssigkeit z.B. verdunstet umso schneller, je größer die Oberfläche im Verhältnis zum Volumen steht, je höher die Flüssigkeitstemperatur ist, je geringer der Umgebungsdruck ist und je schneller der entstehende Dampf fortgeführt wird. Die zum Verdunsten benötigte Wärme wird der Flüssigkeit oder der Umgebung entzogen.
Exogene Reaktion:
Eine Flüssigkeit geht bei ihrer Erstarrungstemperatur (diese bleibt konstant, solange Flüssigkeit vorhanden ist) vom flüssigen in den festen Aggregatzustand über und gibt dabei Wärme an die Umgebung ab.
Beispiele für endogene Reaktionen:
- Körperschweiß verdunstet auf der Haut und kühlt sie dadurch ab. Der Effekt wird verstärkt, wenn die durch diese verdunsteten Wassermoleküle angereicherte Luft durch einen Luftstrom von der Haut weggeblasen wird.
- Wenn im Sommer Regen einsetzt, kühlt die Luft innerhalb kürzester Zeit z.T. sehr stark ab (Effekt ist abhängig von der Höhe der relativen Luftfeuchtigkeit und der Temperatur). Zwar trägt die niedrige Temperatur der Regentropfen auch zur Temperaturabsenkung bei, der wesentliche Effekt ergibt sich jedoch aus dem Verdunsten von Wassermolekülen von den Oberflächen der herabfallenden Regentropfen und vor allem, wenn diese auf feste Gegenstände prallen und sich in unzählige kleinere Tröpfchen aufteilen. Das Verhältnis Oberfläche zu Volumen steigt extrem an und der Verdunstungsprozess wird enorm beschleunigt. Der Umgebung wird Wärme entzogen und es kühlt ab.
- Sprüht man Bremsenreiniger unter Raumtemperatur auf den Handrücken (natürlich zum Schutz mit angezogenen Einmalhandschuh!). so verdunstet die Reinigungsflüssigkeit sehr rasch und kühlt die Haut ab. Mit Wasser unter Raumtemperatur ist der gleiche Effekt ebenfalls noch vorhanden jedoch wesentlich schwächer ausgeprägt.
- In Zeiten, als der Begriff „Umweltschutz“ für viele Motorenbauer noch ein Fremdwort war, reicherte man das Kraftstoff-Luftgemisch thermisch hochbelasteter Motoren zusätzlich mit Kraftstoff an (sehr fett eingestellte Gemischaufbereitung), um die Verbrennungstemperatur durch das Verdampfen des zusätzlichen Kraftstoffes abzusenken.
2. Siedetemperatur und Verdunstungsgeschwindigkeit eines Stoffes sind abhängig vom einwirkenden (Luft-)Druck.
Beispiele:
- Im Hochgebirge siedet Wasser bereits bei einer wesentlich niedrigeren Temperatur als 100°C
- Umgekehrter Effekt: Der Kühlerverschlussdeckel sorgt für einen höheren Druck in einem Kfz-Kühlsystems. Hierdurch wird der Siedepunkt in einen Temperaturbereich von deutlich über 100° C verschoben und ermöglicht somit eine wesentlich höhere Betriebstemperatur, sowie einen verbesserten Wirkungsgrad des Motors.
3. Strömungslehre
Der Italiener Venturi fand im 18. Jahrhundert heraus, dass sich die Geschwindigkeit eines strömenden Fluids (Flüssigkeit oder Gas) in einem Rohr umgekehrt proportional zum Rohrquerschnitt verhält. Daniel Bernoulli entdeckte im selben Jahrhundert den Zusammenhang von Druck und Strömungsgeschwindigkeit eines Fluids in einem Rohr mit unterschiedlichen Querschnitten. Er postulierte: Das Produkt aus Strömungsgeschwindigkeit und Druck ist an jeder Stelle im Rohr konstant, d.h. in einem verengten Rohrquerschnitt steigt die Strömungsgeschwindigkeit (→nach Venturi) und gleichzeitig sinkt der Druck.
4. Anwendung der zuvor genannten physikalischen Gesetze in einem Vergaser
Nachfolgend werden nur die Vorgänge im Strömungskanal des Vergasers betrachtet.
Der Strömungskanal ist als Venturidüse ausgebildet und so gestaltet, dass sich eine laminare Strömung ergibt, d.h. es gibt im Bereich des verengten Strömungsquerschnittes nahezu keine Verwirbelungen des Fluids. Die Ausströmöffnung des Kraftstoffes befindet sich im Bereich des kleinsten Strömungskanalquerschnittes dort, wo auch der geringste Druck herrscht. Aufgrund der Druckdifferenz zwischen dem auf dem Kraftstoffspiegel der Schwimmerkammer wirkenden atmosphärischen Luftdruck und des abgesenkten Druckes in der Venturidüse, wird Kraftstoff über die Hauptdüse in die Venturidüse gedrückt und dort zerstäubt. Durch den hier herrschenden niedrigen Druck verdunsten die leichtflüchtigen Bestandteile des Kraftstoffes sofort und zwar wesentlich schneller, als es unter den Bedingungen des atmosphärischen Druckes der Fall ist (siehe endogene Reaktion). Das angesprochene stöchiometrische Verbrennungsluftverhältnis wird über die Dimensionierung der Hauptdüse eingestellt und beträgt im Idealfall 14,7 (entspricht 14,7 kg Luft zu 1 kg Kraftstoff = λ1). Vergasermotoren werden zur besseren Leistungsentfaltung meist fett (bis λ=0,85) eingestellt.
5. Entstehung der Vergaservereisung
Vergaservereisung tritt nur in einem Temperaturbereich zwischen -5° C und +15° C (in unseren Breitengraden meist zwischen knapp unter 0° C und +5° C) und auch nur bei einer hohen relativen Luftfeuchtigkeit auf. Durch die endogene Reaktion in der Venturidüse wird der Umgebung Wärme entzogen. Infolgedessen kondensiert der in der Ansaugluft enthaltene Wasserdampf zu feinen Tröpfchen, die unter den Gefrierpunkt abgekühlt werden und an den Metallteilen des Strömungskanals zu Eis erstarren. Bei geringeren Temperaturen als -5° C ist der Wasserdampfanteil in der Ansaugluft so gering, dass sich keine ausreichende Menge an unterkühlten Wassertropfen bilden kann, um eine Vereisung zu bewirken. Die wenigen entstehenden Eiskristalle werden vom Luftstrom einfach mitgerissen.
P.S.
Dampfblasen in der Kraftstoffleitung haben indirekt schon einen Einfluss auf die angesprochene Vergaservereisung und zwar in so fern, als dass sie auf eine recht hohe Kraftstofftemperatur in der Leitung und somit auch in der Schwimmerkammer hindeuten. Der Kraftstoff tritt in einem solchen Fall mit einer etwas höheren Temperatur aus dem Düsenstock aus und begünstigt ideell den Vergasungseffekt, was sich rein theoretisch auch auf den Vereisungsprozess auswirken kann.
Allen, die bis hierher durchgehalten haben, erholsame Grüße
Walter