Moin,
ich bin ja zur Zeit beruflich in San Diego und ich habe meine freie Zeit für eine kleine Tour genutzt. Ich werde hier nur kurz meine Geschichte erzählen. Eine absurde Geschichte deren Verlauf typisch ist für mich.
Mittwoch Mittag mache ich mich auf zu den Eagle Ridern. Der freundliche Biker-Sunny-Boy erklärt mir stolz: I don't have a Sportster ... take this one - same price.
Also eigentlich hätte bei diesem Gerät sogar einen Nachlass erwartet. Sowas peinliches. Ein dicker Softchopper. Obwohl ... ich bin ja sogar schon einmal mit einer Virago nach Griechenland gefahren. Also Schwamm drüber. Beim Beladen stelle ich fest, den Tankrucksack kann ich vergessen. Da wo der hin soll sitzt die Komando-Zentrale. Wurscht, wird eben in die hübschen Ledertaschen umgeräumt. Ortlieb Satteltaschen obendrauf, Gepäckrolle auf den Träger und los geht es. Der Big Twin bollert los, ich nehme die Füsse hoch und fange sofort an zu füsseln weil ich die Rasten nicht finde. So weit vorne hätte ich sie nicht vermutet ...
Raus auf die Hauptstrasse und gleich einmal einen U-Turn machen müssen. OK, die Strassen sind breit und die Amis geduldige Verkehrsteilnehmer. Bedingt durch den sehr niedrigen Schwerpunkt lassen sich solche Situationen, wenn auch sehr langsam recht gut meistern. Ich muss noch mal auf die Messe, quer durch die Stadt ... und obwohl es nicht extrem warm ist fühle ich wie mir ein kleines Bächlein Schweiß den Rücken herunter rinnt. Mit den Wax-Klamotten bin ich wohl auch ein wenig overdressed.
Als ich dann erstmals auf dem Highway bin lasse ich den Karren mal laufen. Ich bin ziemlich beeindruckt als ich den Hahn aufmache. Da geht richtig was nach vorne! Und Drehmoment. Aus jeder Lebenslage Kraft aus dem Keller, in Gedanken immer noch beim Schaltschema der Enfield verhaspel ich mich ein ums andere Mal aber das ist dem Motor egal. Anfahren ginge zur Not auch aus dem dritten Gang wie ich feststellen musste. Nach ungefähr 50 Meilen habe ich sogar den 6. Gang gefunden. Insgesamt hat mir der Motor sehr viel Freude bereitet, wenn ich mich auch mit dem Äusseren dieser Harley nicht anfreunden kann.
Ich lasse San Diego hinter mir und fahre auf kleinsten alten Highways durch den Cleveland National Forest. Geil, das nenne ich mal einen Einstieg. Allerfeinste enge Kurven, hier hätte ich jetzt gerne die Enfield unter meinem Hintern. Egal ... muss ich halt etwas mehr arbeiten.
Mittags kehre ich in einem richtig klassischen Diner ein. Also nicht so ein Glitzerding wie in den Städten nein, echt alt mit geschwätziger aber superfreundlicher Wirtin. Essen war gut und es hat Spaß gemacht. Bilder hierzu gibt es später mal.
Auf dem Highway 78 fahre ich dann durch den Anza-Borrego Dessert State Park. Beeindruckend! So habe ich mir das Vorgestellt. Eine tolle Landschaft mit unendlicher Weite. Es wird auch immer wärmer ... ich freue mich meines Lebens.
Ich erreiche den Salton Sea welchen eine eher etwas langweilige landwirtschaftliche Nutzlandschaft umgibt. Aber auch hier, unendliche Weite ... Nach dem See schiebt sich der Highway in Richtung Arizona. Es wird Abend und im schwindenden Tageslicht fahre ich durch eine echte Sandwüste. Superschön.
Es wird Zeit mir einen Schlafplatz zu suchen, ermutigt durch die Schilder am Wegesrand welche das Zelten in der Wüste ausdrücklich erlauben fange ich an kleine Nebenstrassen zu erforschen. Aussschließlich Dirt-Tracks. Teilweise mit weichem Sand. Da ist die Harley nicht unbedingt in ihrem Element ... Leider sind diese Wege rechts und links mit einem Sandwall besäumt. Ich müsste also den Karren auf der Straße stehen lassen um mich in die Büsche zu schlagen und das will ich nicht. Bei meinem letzten Versuch, schon bei Dunkelheit passiert es dann ...
Bei dem Versuch die Harley zu wenden verliert das Vorderrad in weichem Sand bei ca. 1,7 km/h den Halt. Die Karre fängt an zu kippen, reflexartig versuche ich die Harley mit dem rechten Bein zu halten. ein stechender Schmerz durchfährt meinen gesamten Körper, der Point of no return ist überschritten und ich liege neben der Harley im Sand. Gequält brüllt der Motor auf, schnell schalte ich ihn aus, stemme mich mit aller Kraft gegen den Lenker und Richte den 370 kg Brocken in einem Atemzug wieder auf. Völlig ausgepumpt stehe ich auf der rechten Seite der Harley und überlege wie ich wieder aufsteigen kann. Von der Seite aus jedenfalls nicht. Mein rechtes Bein trägt mich nicht mehr ...
Fast besinnungslos vor Schmerzen fange ich nach einer Weile an mich ums Heck herum auf die andere Seite zu arbeiten. Die Harley immer Gleichgewicht haltend. Es war ein unglaublicher Akt aus Kraft und Balance ... wie in Trance erreiche ich die linke Seite und steige auf.
Hätte ich das geplant wäre es mir nie gelungen. Nicht das Aufrichten und nicht das Umsetzen. Erstaunlich was Adrenalin alles so anrichten kann.
Mit pochendem Bein arbeite ich mich auf den Highway zurück. Stockfinster ist es mittlerweile und nach wenigen Meilen finde ich einen Campingplatz.
Ich baue mein Zelt auf, das ein oder andere verlassen mich meine Kräfte und ich gehe wie ein gefällter Baum zu Boden. Der kleinste Stein, die geringste Unebenheit reichen aus um wieder diesen stechenden Schmerz auszulösen. Ich brauche über eine Stunden um mich einzurichten. Abendessen lasse ich ausfallen. Ich mache mich über meinen Rotwein her und versuche zu entspannen. Was soll ich tun? Vorsichtig laufen kann ich ja noch und wenn es morgen nicht schlimmer wird fahre ich weiter. Ich kann nur ahnen was sich in meinem Knie abgespielt hat ... der Schmerz sitzt aussen, das wo bisher noch alles in Ordnung war ...
Trotz allem schlafe ich gut. Zumindest bis 4.00. Der Weg zur Toilette zeigt mir wie angeschlagen ich bin
Bei Sonnenaufgang fange ich an zu packen. Ich beschließe erst einmal weiter zu fahren. Und wieder ... als ich die Satteltaschen zum Motorrad tragen will stolpere ich über eine Zeltschnur. Wie vom Blitz getroffen gehe ich zu Boden. Leider lasse ich die schwere Tasche nicht los und mein Arm verdreht sich in der Schulter. Ich beiße die Zähne zusammen und habe Tränen in den Augen ...
Insgesamt vergehen 2 Stunden bis abmarschbereit bin. Auf dem Highway halte ich an der ersten Tankstelle an und fülle das Benzinfass. Natürlich sind auch die Tankstellen weitläufig und das Tanken wird zur Qual. Tanken bedeutet anhalten, reinhumpeln und Geld hinlegen, tanken, wieder rein und abrechnen. Laufen geht nur im Schneckentempo und das auch nur mit Pausen. Sorgt zumindest für Gesprächsstoff. Bei der nächsten Tankstelle meint der anwesende Sherif noch ob ich die Karre überhaupt unter Kontrolle habe ... ich lächle gequält. Anhalten auf- und absteigen ist ein Akt der Ballance. Die Fussbremse kann ich nicht mehr benutzen. Ich kann das rechte Bein nicht belasten. Absätze werden zu Hindernissen und Treppen kann ich ganz vergessen.
In Needles dann, auf der klassischen Route 66 sehe ich das Schild einer Apotheke und halte an. Es geht mir mittlerweile ziemlich schlecht und sogar die Hitze macht mir zu schaffen.
Ich steige ab und merke, ich kann nicht mehr laufen ... irgendwie schiebe ich mich zur Eingangstüre und rufe um Hilfe. Eine Dame eilt herbei und gibt mir einen Einkaufswagen als Rollator. Wir beraten was zu tun ist und ich entdecke die Gehilfen im Regal, für gerade mal 20 $ sind sie mein. Typische amerikanische Krücken bei denen man sich mit den Achseln abstützt.
Es ist Mittag in Needles, es ist heiß und ich habe noch nichts gegessen und bin durstig. Bei einem Mexico Imbiss versuche ich mich an einem Burrito versage aber komplett. Nach 3 Bissen bin ich satt. Es geht mir nicht gut und ich beschließe den Abbruch der Reise. Jedes Tanken, jeder Stopp ist eine Quälerei. Der kleinste Fehler lässt die Harley vermutlich wieder zu Boden gehen. Das alles macht keinen Sinn mehr.
Ich gehe auf den Interstate Highway, vergleichbar mit einer Autobahn und fahre in Richtung Los Angeles. Es ist heiß, um 15.00 erreiche ich Barstow, ebenfalls an der Route 66 gelegen. Ich nehme ein billiges Motel Zimmer und ruhe mich aus. In einem Supermarkt kaufe ich mein Abendessen für die Mikrowelle und beende den Tag. Alleine dieser Einkauf zeigt mir meine Hilflosigkeit. Ohne Rucksack organisiere ich mir im Supermarkt Plasiktüten welche ich ums Handgelenk wickle. Die Menschen sind allerdings extrem Hilfsbereit. Um zum Motel zu kommen muss ich eine 4 spurige Hauptstrasse amerikanischen Ausmaßes überqueren. Im Feierabendverkehr und ohne Ampel. Auch hier, die Leute halten einfach an, egal wie lange es dauert, keiner hupt ...
Heute morgen dann, um 7.00 sitze ich wieder auf der Harley um die letzten 200 Meilen unter die Räder zu nehmen. Ich checke im Hotel ein, bringe das Mopped zurück und beziehe nach einem gepflegten Mittagessen mein Zimmer. Nichts geht mehr ohne Hilfe. Nichts kann ich tragen. Meine Arbeit auf der Messe muss ich auch umorganisieren. Die Firma ist informiert.
Am Montag fliege ich erst einmal nach New York. Mal schauen ob ich von dort aus überhaupt weiter komme ...
To be continued ...
Andreas, der kahlgryndige
P.S. die Harley hat den Umfaller ohne Schäden überstanden und mehr Bilder wird es geben wenn ich wieder zu Hause bin.