Es war im Winter 1969 als ich das erste Mal die Fahrschule besuchte, ich war erst vierzehn Jahre alt. Ich glaube, die Tanzschule kam später. Ja, meine Schwester und ich fuhren mit dem Moped hin.
Zwei Fahrschulen gab es in der winzigen Kreisstadt, kaum besucht. Und so sassen wir "Klasse Vierer" im theoretischen Unterricht zwischen ein paar Autofahrschülern und und einem Motorradschüler. Weil das so war, lernte jeder alles, Treckerfahren, öffnen des Autos, wenn der Schlüssel drinnen steckt, bis zur Seitenwagenproblematik. Der Fahrlehrer war schon 70 und erzählte gern. Er sah natürlich auch, wie wir Vierer-Pickelgesichter die Anekdötchen aufsaugten, begierig, dass es endlich losgeht.
Im Frühjahr 1970 war es endlich soweit. Frisch fünfzehn geworden konnte ich mir meinen Lappen abholen. Natürlich durfte ich mit meinen gerade 60 Kilo zwar das 4 Tonnen schwere Allrad Geschütz des elterlichen Hofes fahren, nicht aber meine niedergerockte Zündapp Sport Combinette, was ich trotzdem tat, aber das steht auf einem anderen Blatt.
Interessanter ist der Augenblick, der zwischen der bestandenen Theorie und und der Aushändigung des Lappens stand. Es bedurfte einer Sondergenehmigung, die aber jeder bekam, denn Landwirtschaft diente damals schliesslich allen. (CMA Slogan) Ich hatte mich beim Gesundheitsamt wegen einer Unbedenklichkeitsbescheinigung einzufinden, Musterung oder so.
Der Arzt, zugleich Amtsleiter, war ein netter alter Herr, der mir einen Blutdruckmessverband anlegte und begann eine Geschichte zu erzählen.
Wie er als junger Spund in meinem Alter und von meiner Statur von seinem Vater eine Schrotflinte in die Hand gedrückt bekam, mit dem Auftrag, dem alten Jagdhund noch einmal einen schönen Tag im Feld zu bereiten und ihm dann den Gnadenschuss zu geben.
Ich habe die Einzelheiten seiner Geschichte vergessen, aber er hat sich eine Dreiviertelstunde Zeit dafür genommen, mir zwischendurch die Blutdruckgerätschaft wieder abgenommen und die Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgestellt.
Man mag sich fragen, was das miteinander zu tun hatte. Aber ich glaube, der Mann konnte ganz gut beurteilen, dass es uns Knäblein, wenngleich schmächtig, nicht an der körperlichen Konstitution fehlte, in der norddeutschen Tiefebene ein Fahrzeug zu bewegen. Vielleicht wollte er zum Ausdruck bringen, dass einem jungen Menschen die Hebelwirkung nicht klar ist, wenn ihm plötzlich Verantwortung zu Teil wird. Denn genau so begierig wie wir darauf, endlich fahren zu dürfen, war er wohl zwei Generationen früher gewesen, endlich schiessen zu dürfen. Doch er hat die fatalen Konsequenzen seiner Geschichte in seinem ganzen Leben nicht vergessen. Ich auch nicht.
Und das Führen eines Fahrzeuges hatte für mich immer auch etwas mit Verantwortung zu tun. Und ich vergleiche ein KFZ gern mit einer Waffe, vielleicht wollte der nette alte Mann gar nicht mehr erreichen.