Rally Stella Alpine 1994 - eine unendlich naive Geschichte in mehreren Akten
Nachdem ich 1993 mit Tommi seinen "Wing" ausgiebig im Odenwald ausprobiert hatte, es war noch der Prototyp, der an seine Seven-Fifty geschraubt war, stand eigentlich fest, dass meiner Güllepumpe ein ähnliches Schicksal widerfahren würde. Eine gemeinsame Tour war ausgemacht.
Während Horst (Räbiger) einen EML Mini an die CX schraubte, gurkte ich mit Tommis 300er MZ und dem typischen dritten Rad im Vogelsberg herum. Pünktlich zum Vatertag bekam ich meine Güllepumpe zurück und Tommi hatte auch schon eine Idee:
"Stella Alpine", sagte er, "muss man mal gemacht haben, wie das Nordkap."
Sicher warum nicht?
Als der Termin herannahte, schickte er mir ein Fax, damals noch auf Thermopapier.
"Bardonecchia" stand da. Ein paar geschwungene Pfeile dabei, Rhone-Tal und Aosta-Tal. Es hätte vielleicht auch kürzere Wege gegeben, aber ich dachte mir schon, dass da Berge dazwischen liegen und der Weg ist ja das Ziel.
Tommi wollte mit seiner Frau ein paar Tage eher los, in Frankreich noch Leute besuchen. Ich hatte ja mein Fax und rief ein paar Freunde an. Drei waren begeistert. Ingo hatte vor einem Jahr sein Rennrad gegen eine Suzuki VX 800 getauscht, und Norbert sich als Anfänger eine 850er Vierventiler BMW geleistet. Friedel hatte gar keinen Motorrad Führerschein, war aber dabei und fortan gern gesehener Gast in meinen diversen Seitenwagen. Ich fuhr immerhin schon über zwanzig Jahre. Ich schaute dann mal, ob ich Bardonecchia, den Ort mit dem wunderschönen Namen auf einer Karte fände. Es war gar nicht so leicht.
"Und Gespannfahrer," hatte Tommi gesagt, der selber erst seit zwei Jahren Dreirad fuhr, "haben auf Motorradtreffen immer was Gewaltiges dabei." Er wolle eine Bierzeltgarnitur und und das Holzportal von Kneissls Weizen mit nehmen. Leider reichte es nur für eine von zwei Sitzbänken, ob ich nicht noch ein paar Gartenstühle mitbringen könne?
Sicher, warum nicht?
Fünf Stück bekam ich zwischen Zugmaschine und Seitenwagen. Ich dachte dabei einige Male darüber nach, wo wohl Tommis Frau sitzen würde, kam aber zu keinem Schluss.
Der Rest der Packerei klappte ganz gut. Der EML Mini steckte daneben locker ein Zelt, zwei Schlafsäcke, zwei Reisetaschen, Stiefel und Regenkleidung, einen Kocher, Proviant, einen Reservekanister und einen Mitfahrer weg.
Frühstück am nächsten Morgen bei uns, gute Stimmung, Küsschen, Abschiedsfoto.
Der Tross lief ganz gut. Ich hatte Ingos Suzi mal gefahren. Ich fand sie sehr handlich, aber man zog sie sich an wie einen Schuh, entweder sie passte oder sie passte nicht. Mir passte sie. Ingo ist aber nochmal einen halben Kopf grösser als ich. Dazu hatte er einen Gleitschirm mit genommen, der hinter ihm eingerastet war. Seine eigentliche Motivation für die Mitfahrt. Er konnte nicht ohne Hilfe auf- und absteigen
Wir verliessen das Rhein Main Gebiet auf der Autobahn und ich nahm die Gelegenheit wahr, meine Gesellen bei dem lahmen Zock von allen Seiten zu betrachten. Lustig. Irgendwie müssen Friedel und ich auch so ausgesehen haben.
Ich vergass zu erwähnen, auch damals schon, dass die CX zwischen Volltanken und Umschalten auf Reserve einen Radius von 120km bot. Willkommene Kurzweil also, es war ja knallheiss. Es sollten sogar alle schweizer Alpenpässe frei gegeben werden an diesem ersten Juli-Wochenende.
Der erste Tankstopp war ok. Norbert sah etwas unruhig aus. Er hatte mit seiner neuen BMW einen Schuberth Klapphelm bekommen, eine Vollkörpermontur und adäquate Stiefel.
Irgendwie trug er alles nicht ganz geschlossen. Friedel hatte von seiner Frau einen neuen Helm verordnet bekommen, so gross war ihr Vertrauen in mich nun doch nicht. Ingo und ich trugen unbeabsichtigt Partnerlook: Shoei Jet Max und Goretex Jacke an Jeans und Halbschuhen.
Wieder auf der Autobahn nahmen wir uns einen Pulk Harley Fahrer vor. Custom Bikes, damals noch ein seltener Anblick. Norbert hatte es sich auf seiner BMW bequem gemacht, die Stiefel auf die Zylinder gelegt. Custom Biker, ein eben so seltener Anblick. Während wir vorbei fuhren und grüssten, flogen plötzlich nacheinander zwei kleine schwarze Teile von seiner BMW weg, eines links, das andere rechts. Er schien es nicht zu bemerken. Einige Harley Fahrer schon. Später stellte sich heraus, dass es die Plastik-Vergaserverkleidungen waren. Die Harleys waren laut. Ich habe die "Biker" nicht lachen hören können.
Beim zweiten Tankstopp platze es dann aus ihm heraus: "Ob es nicht langsam Zeit für Mittagessen wäre?"
Sicher, warum nicht?
Wir waren ja zum Spass unterwegs, nicht auf der Flucht. Wenngleich Friedel mich fragend anschaute. Er half manchmal bei mir aus und wir hatten bis dahin lange Tage immer mit je zwei Kannen Kaffee und zwei Schachteln Roth-Händle gut überstanden.
Wir waren einer Ausfahrt Titi-See gefolgt und hatten gehofft etwas lauschig rasten zu können.
Zwei Dinge werde ich dabei nie verstehen:
- Wie es der Gastronomie gelingt, mit dem Einsatz von getönten Butzenscheiben, dem Gast jegliches Gefühl für Raum und Zeit zu nehmen.
- Welches Interesse die Schwaben daran haben, sich jede halbwegs gewachsene Formation arbeitsgerecht zurecht zu legen.
Halb drei war´s, als wir wieder ins gleissende Tageslicht traten, alle waren satt, Zeit für ein Zigarillo. Jetzt drängelten die anderen. Ein paar Züge auf Lunge, das haute rein wie eine halbe Flasche Cognac. Jetzt fing unsere Reise an, surrealistische Züge für mich an zunehmen.
Wieso eigentlich jetzt erst?
"Ob man nicht ab jetzt am Rande des Schwarzwald entlang gemütlich nach Basel zockeln könne?"
Sicher, warum nicht?
Das war auch meine Idee gewesen. Heute morgen. Wir sassen auf, der Weg nach Basel war wirklich easy. Vom Schwarzwald nahm ich nicht viel wahr. Ich denke der ist woanders. Und dann endlich: der Zolli.
Friedel und ich verwendeten diesen Begriff für den Schweizer Grenzübergang seit unserem ersten Besuch in der Schweiz. In unserer Werkstatt war das zugleich der Rufname für ein ein faltbares Messwerkzeug, für die Baseler ist es der Zoo. Eigentlich Zooli geschrieben, aber Zolli gesprochen.
Zwei freundliche junge Herren nahmen sich unserer an, einer näherte sich, der andere zum Sprung, nein eher zum Gähnen bereit. Sie sahen unverbraucht aus, als würde ihre Schicht erst beginnen. Friedel nicht. Er ist der "dunkle Typ" und sah aus, wie ein 50er Jahre Rennfahrer, dem der Bremsstaub im Gesicht haftete. Es war nur sein Tagesbart.
Dennoch gab es keine Probleme, der freundliche Beamte strich um die Motorräder, lugte, aber da hatte er sich geschnitten: Wir vier grinsten uns an, er sah es.
In Kenntnis der Sachlage hatte ich morgens noch jedem Fahrzeug das vorgeschriebene Nationalkennzeichen angepasst und auf eine gut sichtbare Stelle geklebt. Abschliessend fingerte er noch an den Gartenstühlen herum, aber die sassen fest. "Gute Reise", sagte er freundlich, "und angenehmen Aufenthalt!" tippte sich an die Mütze und nickte grüssend mit dem Kopf. Beim Wegfahren konnte ich noch sehen, wie er denselben alsbald schüttelte. Ich hatte nichts anderes erwartet.
Weiter ging´s. Aber es war halb fünf und die Güllepumpe bettelte um Sprit.
Fortsetzung folgt.